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Von cooler Wimperntusche und Testimonials, die über Rot fahren
Wie finde ich den perfekten E-Influencer?
„Boah, guck mal, da ist die Wimperntusche die Bibi letztens hatte!“ Dieser Ausruf der Freude zeigt nur allzu deutlich, warum Marketer gerne auf E-Influencer setzen – besonders, wenn es um die jüngere Zielgruppe geht. Für die beiden etwa 12-jährigen Mädchen im Drogeriemarkt steht die Kaufentscheidung fest: Bibi, eine E-Influencerin mit 5,6 Mio. Abonnenten auf YouTube, ist schließlich das große Vorbild! Aber ist es wirklich so leicht? Einfach einen E-Influencer einsetzen und das Produkt wird gekauft und die Marke im Handumdrehen beliebt?
Influencer sind keine neue Erfindung
Ganz so simpel wie im oben genannten Beispiel funktioniert es natürlich nicht immer. Influencer, also „Beeinflusser“ in der ehrlichsten Übersetzung, sind kein neues Phänomen in der Kommunikations- und Marketingarbeit. Einigen vielleicht besser bekannt unter Synonymen wie Markenbotschafter oder Testimonial, werden Prominente schon seit Jahrzehnten eingesetzt, um für Marken oder Produkte zu werben. Dahinter stecken zwei psychologische Ansätze: Zum einen kann das Image einer Person auf die öffentliche Wahrnehmung eines Produktes „abfärben“. Wer zum Beispiel einen Nachrichtensprecher mit einer Marke oder einem Produkt verknüpft, indem er ihn zur richtigen Zeit über das Produkt sprechen lässt, der leiht sich gewissermaßen die Attribute dieser Person – in diesem Fall Seriosität – und projiziert sie auf die Marke.
Der zweite Ansatz basiert auf der menschlichen Neigung zur Nachahmung. Menschen kaufen Produkte und nutzen Marken, die ihnen empfohlen wurden. Wenn die hübsche Schauspielerin mit vollen Lippen im Interview einen Lippenbalsam anpreist, dann löst das beim Zuschauer – bewusst oder unbewusst – eine kognitive Verknüpfung aus. Sieht der Kunde das Produkt künftig im Geschäft, wird er es mit größerer Wahrscheinlichkeit kaufen. Fairerweise muss allerdings gesagt werden, dass diese Wirkung bei FMCG, also schnell verkauften, günstigen Artikeln des täglichen Bedarfs, deutlich größer ist, als wenn es sich um große Anschaffungen wie ein Auto oder ein Boot handelt.
Vom Influencer zum E-Influencer
Deutlich jünger, gerade einmal knapp über zehn Jahre alt, ist die Welt der E-Influencer, also der Markenbotschafter, die ihre Prominenz hauptsächlich in den sozialen Medien aufgebaut haben und diese dort auch größtenteils einsetzen. Während Influencer im klassischen Sinne häufig als Testimonials für mehrere Jahre unter Vertrag genommen werden, ist es keine Seltenheit, dass Unternehmen mit deren internetaffinen Pendants nur für einzelne Kampagnen zusammenarbeiten. Die Welt der E-Influencer dreht sich deutlich schneller – Verträge werden in höherer Frequenz bei kleineren Reichweiten und oftmals ohne Agentur oder Management geschlossen. Allerdings hat auch die E-Influencer-Szene sich in den letzten Jahren stark professionalisiert. Die größten Unterschiede sind die Laufzeit sowie die Leistungsinhalte der Verträge – und damit verbunden auch das nötige Budget. Ein Markenbotschafter, der über alle Kanäle das „Gesicht der Marke“ ist, sollte über Jahre an die Brand gebunden sein und über einen relativ umfassenden Wettbewerbsausschluss verfügen. Entsprechend kostet er nicht selten viele Hunderttausend Euro. Kleine Kooperationen mit E-Influencern, die zum Beispiel nur ein Video drehen oder ein Foto mit Kernbotschaft auf Instagram hochladen (bitte immer mit „Werbung“ gekennzeichnet!), sind bereits für wenige Hundert Euro möglich. Das macht sie natürlich für eine größere Bandbreite an Unternehmen interessant. In nahezu jeder Marketingrunde dürfte das geflügelte „Lass uns was mit Influencern machen“ mittlerweile gefallen sein.
Ohne Ziel kein Weg
Wie jede Marketingaktivität sollte aber auch die Influencer-Arbeit nicht im kommunikativen Vakuum stattfinden und mit der Frage nach dem Ziel beginnen.
Die Auswahl des Influencers hängt vor allem davon ab, was ein Unternehmen erwartet. Eine gewünschte Absatzsteigerung erfordert ein anderes Vorgehen als die Erweiterung der eigenen Zielgruppe.
Soll das Image des Unternehmens verbessert oder verändert werden, muss der E-Influencer genau dieses angestrebte Idealbild verkörpern. Liegt der Fokus auf einer höheren Markenbekanntheit, ist eine große Reichweite entscheidend – ob über einzelne große oder viele kleine (Micro-)Influencer. Diese Fragen bestimmen die Kommunikationsstrategie und sollten deshalb am Anfang jeder Kampagne stehen.
Auf die Plätze, fertig, Reichweite?
Haben wir das Ziel definiert, spielen weitere Parameter bei der Suche nach dem perfekten E-Influencer eine entscheidende Rolle. Das vorhandene Budget und die angestrebte Reichweite sind offensichtlich und schnell recherchiert. Gleichzeitig ist eine große Reichweite nicht immer zielführend. Haben wir eine spitze Zielgruppe, können auch mehrere „kleinere“ Micro-Influencer, die orchestriert über das gleiche Thema sprechen, deutlich sinnvoller sein. Der Grund: Zielgruppenrelevanz schlägt Gießkannenprinzip.
Mit den richtigen Überlegungen lassen sich zusätzliche Auswahlfaktoren identifizieren. Was benötigen wir als Marke von einem Influencer und wie möchten wir das Material verwenden? Brauchen wir ein schönes, erklärendes Video, das wir in der Onlinewerbung oder auf unserer Homepage nutzen können, oder romantische Bilder auf den Influencerkanälen? Kann der ausgesuchte Kooperationspartner diese Formate in gewünschter Qualität liefern? Hat der E-Influencer überhaupt eine entsprechend große Gruppe an Followern auf den richtigen Kanälen, um unsere Zielgruppe zu erreichen? Ist die Zielgruppe beispielsweise 40 Jahre alt, so eignet sich eventuell Facebook optimal; Instagram hingegen ist häufig eher für weibliche Follower und bildgewaltige Botschaften relevant, während wir auf TikTok nur wenige 40-jährige antreffen werden.
Ist unser Influencer Experte auf dem gesuchten Gebiet und damit besonders glaubwürdig, wenn er über unser Produkt spricht? Hat er eine gute Interaktionsrate oder eventuell nur Follower in einem Land, in dem unser Produkt gar nicht verkauft wird? Für welche Marken wirbt der E-Influencer darüber hinaus? Schließlich möchte kein Unternehmen, dass die Luxusuhr für mehrere Tausend Euro von jemandem präsentiert wird, der sonst nur für Discountermarken steht. Auch ein Influencer, der wahllos von vielen unterschiedlichen Produkten gleichzeitig schwärmt, verliert schnell an Credibility.
Alles Gute – und Schlechte – beginnt mit R
Stellen wir uns vor, die Marketingleiterin eines großen und bekannten Unternehmens sucht im Social Web nach einem E-Influencer für eine bezahlte Kooperation. Sie hat eine ungefähre Vorstellung davon, welche Zielgruppe „ihr“ Influencer ansprechen sollte – junge Familien sowie bärtige E-Scooter-Fahrer mit Ökocup in der Hand und Baby im Tragetuch – und welche Reichweite sie sich erhofft. Die Marketingleiterin hat bereits einige Erfahrungen mit Influencer-Kooperationen gesammelt und weiß, dass sich neben einem Blick auf die Follower- oder Abonnentenzahlen auch ein Blick auf die sogenannte Engagement-Rate lohnt. Diese gibt einen Hinweis darauf, ob der Influencer seine Anhänger mit seinem Content tatsächlich erreicht, oder ob die imposante Zahl seiner Follower durch „Karteileichen“ zustande kommt. Die gute Nachricht für unsere Kommunikationsexpertin lautet: Influencer-Agenturen, die ihr dabei helfen, den passenden Markenbotschafter zu finden, gibt es mittlerweile fast so viele wie Influencer selbst. Das britische Markt- und Meinungsforschungsinstitut YouGov listet in seinem InfluencerCheck die „vier R‘s der Influencer-Effizienz“ auf, die den Einfluss eines Influencers bemessen:
Reichweite, Resonanz, Referenz und Relevanz.2 Während die Resonanz dabei die Interaktion zwischen Influencer und Followern erfasst, bildet die Referenz ab, wie gut der Influencer mit Gleichgesinnten vernetzt ist. Für alle vier Faktoren gilt, dass sie zu Kampagne, Produkt und Zielgruppe des jeweiligen Unternehmens passen müssen. Stimmt der vielbeschworene „Fit“ nicht, läuft auch eine hochbezahlte Kooperation ins Leere.
Sonnenbrand und Flight Shaming
Was bei aller Begeisterung angesichts hoher Followerzahlen und Interaktionsraten häufig in Vergessenheit gerät, sind mögliche Reaktanzen.
Beispielhaft dafür ist der Automobilhersteller, der außer Acht lässt, dass die Influencerin seiner Wahl erst kürzlich eine Probefahrt in einem Konkurrenzauto hochgeladen hat. Ähnlich ergeht es dem Start-Up für ökologisch bewusste Slow Fashion, das mit einem Influencer kooperiert, der für sein ausuferndes Flugverhalten schon mehrfach kritisiert wurde. Oder die international bekannte Hautcreme sponsert ein Influencer-Pärchen, welches kürzlich mit sonnenverbranntem Gesicht aus dem Urlaub zurückkam. Der Worst Case: Eine ganze Reihe von Unternehmen muss sich für die Zusammenarbeit mit einem Influencer-Paar rechtfertigen, das trotz aller Kritik aus der Community in seinen Videos wiederholt mit fremdenfeindlichen Formulierungen sowie Vokabular aus der NS-Zeit negativ auffiel.
Es gibt im Umkehrschluss natürlich zahlreiche positive Beispiele für gelungene Influencer-Einbindung. Ein Musterfall ist der deutsche Automobilhersteller, der vor einiger Zeit bekannte E-Influencer mit einem auffällig gestalteten elektrischen Sportwagen zum angesagten Coachella-Festival fahren ließ – quer durch die amerikanische Wüste und ohne große Pause. Zielgruppenverjüngung, Reichweitenstärke, Coolness-Faktor, emotionsstarke Bilder – und Performance-Beweis des Autos in einem!
Finde den Fehler im System
Die oben genannten Negativbeispiele stammen nicht etwa aus einem fiktiven How not to, sondern beruhen auf tatsächlichen Vorfällen. Es lohnt sich daher, mögliche Influencer einem gründlichen Check auf potentielle Reaktanzen zu unterziehen; denn gerade eine große Reichweite wird schnell zum kommunikativen Bumerang, wenn die Kooperation in die Kritik gerät. Vergessen Sie nicht: Der Masse begeisterter Follower eines Influencers steht oft auch eine mindestens ebenso große Kritikerschar gegenüber, die sich einen Spaß daraus macht, jeden noch so kleinen Fehltritt dieser Person zu dokumentieren und im Netz zu diskutieren. Vorsicht ist darüber hinaus geboten, wenn ein Influencer zu viele Kooperationen eingeht, die er wohlmöglich sogar gleichzeitig im selben Post bewirbt. Nicht nur geht dabei vor lauter Markentags und Kanalverlinkungen die Übersichtlichkeit verloren, auch jegliche Ambition, eine zum Produkt oder zur Kampagne passende Geschichte zu erzählen, verpufft in der Luft. Ein vollständiges und professionelles Influencer-Rating sollte deswegen bei der Eignung sowohl den Markenfit berücksichtigen als auch ganz gezielt nach möglichen „Leichen im Keller“ suchen. Die Erfahrung zeigt, dass dies am besten mit einer Kombination aus einer toolgestützten und datenbasierten Analyse sowie händischer Recherche funktioniert. Hilfreich sind hierbei zum einen Artikeldatenbanken, Online-Suchmaschinen und professionelle Risk-&-Compliance-Managementsysteme. Eine ebenfalls empfehlenswerte Informationsquelle stellen Diskussionen in Online-Foren dar. Zudem lohnt es sich, alle zu einem Influencer gehörigen Kanäle in das Rating einzubeziehen und Beiträge auch mindestens sechs bis zwölf Monate rückwirkend zu recherchieren.
Wo Marktkenntnis auf Recherche und Empathie trifft
Um dem Verdacht des Influencer-Bashings zuvorzukommen: Die meisten Influencer erhalten in einem Reaktanz-Check tatsächlich ein grünes Häkchen, nur wenige von ihnen leisten sich wirklich grobe Schnitzer. Manchmal sind es auch keine schockierenden Fehltritte, die einer Kooperation im Wege stehen, sondern spezifische Gründe aus dem Unternehmensumfeld, etwa die kürzliche Zusammenarbeit mit einem Wettbewerber. Einem Autohersteller dürfte es zudem weniger wichtig sein, ob seine neue Influencerin unechte Haarverlängerungen trägt, wohingegen dies für eine Shampoomarke eine interessante Information ist.
Eine gute Beratung passt daher die Kriterien für das Influencer-Rating immer maßgeschneidert auf die Bedürfnisse des Kunden an und betrachtet den Influencer mit der Unternehmensbrille.
Marktkenntnis, individuelle Beratung mit Empathie und Verstand sowie tiefgehende Recherche anhand der richtigen Parameter - das sind die wichtigsten Faktoren im Influencer-Geschäft. Nur so lässt sich eine fundierte Kommunikationsentscheidung treffen, die betriebswirtschaftliche, marketingspezifische und datenbasiere Fakten gleichermaßen einbezieht.
Quellen:
1: Stand September 2019
2: https://yougov.de/loesungen/custom-research/kommunikation/influencercheck/